Reziprokes Lesen

Diese Methode hilft den Lernenden, ihr Leseverständnis zu fördern und durch gemeinsames Erarbeiten die Inhalte in Eigenregie zu erfassen.
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Beschreibung

Die Methode kann auf folgende Art und Weise durchgeführt werden:

  • Die Lehrperson führt die Lernenden zunächst in vier verschiedene Lesestrategien ein. Diese werden von den Lernenden eigenständig erarbeitet, da sie im Anschluss in Kleingruppen von vier bis sechs Personen angewendet werden sollen.
  • Beim Lesen des Textes kommen die folgenden Strategien zum Einsatz:
    1. Unbekannte Wörter klären
      Stoßen die Lernenden auf unbekannte Wörter oder unklare Textstellen, erklären sie sich diese zunächst gegenseitig im Gespräch. Falls keine Lösung gefunden wird, können sie auf Lexika oder andere Nachschlagewerke zurückgreifen, um die Bedeutung zu erschließen.
    2. Fragen stellen
      Die Lernenden formulieren die fünf W-Fragen (Wer? Was? Wieso? Wann? Warum?) und beantworten diese gemeinsam. Dadurch überprüfen sie, ob sie die wesentlichen Inhalte und Zusammenhänge des Textes erfasst haben. Bleibt eine Frage unbeantwortet, wird die entsprechende Passage erneut gemeinsam gelesen.
    3. Zusammenfassen des Textabschnitts
      Die Gruppe diskutiert: Was ist der Kern des Abschnitts? Welche Inhalte sind zentral, welche eher nebensächlich? Dabei hilft es, wichtige Stellen im Text zu markieren oder sich erneut an den W-Fragen zu orientieren. Anschließend verfassen die Lernenden eine gemeinsame Zusammenfassung, die so lange überarbeitet wird, bis alle zufrieden sind.
    4. Vorhersagen des Inhaltes
      Mithilfe von Bildern, Überschriften, oder bereits gelesenen Abschnitten überlegen die Lernenden, welche Inhalte im weiteren Text vorkommen könnten. Auf diese Weise wird ihr Vorwissen aktiviert und das Interesse am Text gefördert.
  • Das Einführen dieser Strategien benötigt Zeit und Begleitung durch die Lehrperson. Es kann hilfreich sein, die Lernenden innerhalb der Kleingruppe in Rollen einzuteilen, damit alle Strategien verfolgt werden. Somit können sich folgende Rollen für das reziproke Lesen ergeben:
    • (Er)Klärer*in: Diese Rolle konzentriert sich beim Lesen besonders auf unbekannte Wörter, Schlüsselbegriffe und schwierige Textstellen. Ziel ist es, die Aufmerksamkeit der Gruppe gezielt auf die erste Lesestrategie zu lenken. So wird sichergestellt, dass mögliche Unklarheiten, die das Textverständnis beeinträchtigen könnten, rechtzeitig erkannt und gemeinsam geklärt werden. Man kann sich diese Rolle wie einen „Sprachdetektiv“ vorstellen: Sie spürt Stolperstellen im Text auf, macht die Gruppe darauf aufmerksam und sorgt dafür, dass niemand den Faden verliert.
    • Frager*in: Diese Rolle dient dazu, mithilfe verschiedener W-Fragen sowie Verständnis-, Detail- oder klärender Fragen die zentralen Informationen eines Textabschnitts herauszufiltern. Die Gruppe beantwortet diese Fragen, korrigiert einander oder ergänzt fehlende Aspekte – ganz im Sinne der zweiten Strategie. Diese Rolle trägt dazu bei, den Text nicht nur zu lesen, sondern sich auch kritisch mit ihm auseinanderzusetzen. Man kann sich diese Rolle wie eine Lupe vorstellen: Sie hebt die wichtigen Details hervor, lässt Unklarheiten sichtbar werden und sorgt dafür, dass die Gruppe den Text gründlich durchdringt.
    • Zusammenfasser*in: Diese Rolle fasst den gelesenen Abschnitt in eigenen Worten zusammen. Dabei werden die zentralen Aussagen sowie die wichtigsten Details hervorgehoben. Die Gruppe prüft anschließend die Zusammenfassung, ergänzt fehlende Aspekte oder formuliert eine präzisere Version. Auf diese Weise wird das Gelesene gemeinsam verarbeitet und die Aufmerksamkeit auf die Hauptpunkte gelenkt. Dies ist ganz im Sinne der dritten oben genannten Strategie. Man kann sich diese Rolle wie einen „Kompass“ vorstellen: Sie zeigt die Richtung, hebt das Wesentliche hervor und hilft der Gruppe, sich im Text nicht zu verlieren.
    • Vorhersager*in: Diese Rolle übernimmt die Aufgabe, eine erste Prognose über den weiteren Verlauf des Textes zu formulieren. Die Gruppe diskutiert anschließend diesen Vorschlag und prüft, wie plausibel er ist. Natürlich können auch die anderen Gruppenmitglieder eigene, alternative Vorhersagen beisteuern. Auf diese Weise wird vorhandenes Vorwissen aktiviert und das Interesse am weiteren Text wachgehalten. Dies entspricht der vierten Strategie. Man kann sich diese Rolle wie einen „Wegweiser“ vorstellen: Sie deutet eine mögliche Richtung an, regt die Gruppe zum Nachdenken an und hält die Neugier auf den kommenden Text lebendig.
    • Moderator*in: In Fünfergruppen kann diese Rolle übernommen werden. Sie leitet die Gruppe durch den gesamten Lesezyklus. Zu Beginn eines Abschnitts liest sie beispielsweise die Überschrift laut vor und fordert die anderen Lernenden dazu auf, Vorhersagen über den möglichen Inhalt zu treffen. Zudem ermutigt sie einzelne Gruppenmitglieder zum Lautlesen und unterstützt sie dabei. Am Ende eines Lesezyklus gibt der*die Moderator*in der gesamten Gruppe oder einzelnen Lernenden ein Feedback. Man kann sich diese Rolle wie ein „Metronom“ vorstellen: Sie gibt den Takt vor, sorgt für einen harmonischen Ablauf und achtet darauf, dass alle Stimmen im Leseprozess gehört werden.

Variation

Folgende Variationen sind möglich:

  • Themenbasiertes reziprokes Lesen
    Hier richtet sich der Fokus der Kleingruppe auf bestimmte Themen oder Fragestellungen, die im Text vorkommen. Diese Form eignet sich besonders bei Texten mit vielen unterschiedlichen Inhalten. Jede Kleingruppe bearbeitet ein eigenes Thema und stellt ihre Ergebnisse später der Lerngruppe vor.
  • Dyadisches reziprokes Lesen (Partnerarbeit)
    Bei dieser Form arbeiten zwei Lernende zusammen und wechseln sich in ihren Rollen ab. Eine Person liest einen Abschnitt, während die andere eine der vier Aufgaben aus den Strategiewn übernimmt (Vorhersagen, Fragen stellen, Klären, Zusammenfassen). Anschließend werden die Rollen getauscht. Diese Variante ermöglicht eine besonders intensive Zusammenarbeit und bietet individuelle Unterstützung.
  • Lehrperson-geleitetes reziprokes Lesen
    Zu Beginn übernimmt die Lehrperson die Rolle „Moderator*in“ ei und führt die Lernenden schrittweise durch die vier Strategien des reziproken Lesens. Mit der Zeit gibt sie die Verantwortung zunehmend ab, bis die Lernenden den Prozess eigenständig in ihren Kleingruppen umsetzen können.

 

Differenzierung

Folgende Differenzierungen sind denkbar:

  • Sollten die Lernenden in Rollen fungieren, kann hier stark differenziert werden. Die Lehrperson sollte hier die Stärken der Lernenden beachten und ihnen entsprechend die Rollen zuteilen. So lässt sich der größte Lernerfolg erzielen.
  • Es kann bei der Schwierigkeit der Texte variiert werden. So können die Texte bereits in deutliche Abschnitte geteilt oder aber, die Einteilung den Lernenden überlassen werden. Ebenfalls die Länge und Schwierigkeit der genutzten Wörter kann variiert werden.

Tipps

  • Heterogene Gruppen bilden
  • Informationsquellen bereitstellen (Computer/iPad, Wörterbücher, Lexika etc.)
  • Vorbereitete Rollenkärtchen zur Verteilung der Rollen innerhalb der Lerngruppe

Literatur

BiSS-Transfer. (2024). Reziprokes Lesen | BISS-Transfer. Abgerufen am 29. September 2025, von https://www.biss-sprachbildung.de/btools/reziprokes-lesen/

Listmann GmbH & Co. KG. (2024). Reziprokes Lesen in der Oberstufe. Listmann – das Haus für Kreative. Abgerufen am 29. September 2025, von https://www.listmann.de/rb-cms-reziprokes-lesen-oberstufe

Wocken, H. (o. D.). Reziprokes Lesen. Texte verstehen durch strategisches Lesen und kooperatives Lernen. Abgerufen am 29. September 2025, von https://www.hans-wocken.de/Texte/HW-RLesen.pdf

Zentrum für Schulqualität und Leherbildung – Baden-Württemberg. (o. D.). Methodenblätter. Reziprokes Lesen. Abgerufen am 29. September 2025, von https://lehrerfortbildung-bw.de/st_if/bs/if/unterrichtsgestaltung/methodenblaetter/reziprokeslesen.html

In welcher Phase deines Unterrichts würdest du diese Methode einsetzen?

Zitationsvorschlag

Methodenkartei. Ein Kooperationsprojekt an den Universitäten Oldenburg und Vechta. Abrufbar unter: https://www.methodenkartei.uni-oldenburg.de/
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